Eric Kalén spricht Klartext

Härterer Wettbewerb, unerschlossene Marktpotentiale, Versäumnisse der Industrie in Bezug auf die Nachfrage, Akzeptanz von Sex Toys, Distributionskanäle im Mainstream, Marken, Produktentwicklung, der Einsatz neuer Technologien in Love Toys, pärchenfreundliche Produkte… in diesem Interview mit Eric Kalén, Managing Director Tickler Europe, wird nichts außen vorgelassen, was den Markt und die Industrie gegenwärtig bewegt.

 


Nicht wenige behaupten, dass das Jahr 2015 für viele Unternehmen wenig zufriedenstellend verlaufen ist. Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür?
Eric Kalén: Die Konkurrenz wird härter und härter. Zudem glaube ich nicht, dass der Markt wächst.

Was sind für dich die größten Hindernisse, die die volle Entfaltung des Potentials des Erotikmarkts in Europa verhindern? Oder ist das Potential etwa gar schon ausgeschöpft?
Ich meine, dass wir bislang nur an der Oberfläche des Potential dieses Marks gekratzt haben. Was uns zurückhält ist die Tatsache, dass wir der Nachfrage seitens der Konsumenten und des Handels nicht auf allen Ebenen entsprechen.

Wo steht Europa 2015 in Bezug auf die Akzeptanz gegenüber Erotikprodukten? Der Wunsch, dass Vibratoren Produkte des alltäglichen Lebens werden, wird sauf lange Sicht nicht wahr werden?
Ich denke, dass das Interesse und die Akzeptanz gewachsen sind und es eine Nachfrage nach Erotikprodukten gibt, aber wir schaffen es nicht, uns an die Anforderungen des Marktes anzupassen.

Es wird viel über die Vermischung aus Erotik und Mainstream gesprochen – wegen Fifty Shades of Grey zum Beispiel. Wie beurteilst du die Resultate dieses Phänomens? Strohfeuer oder game changer in den Köpfen vieler Konsumenten?
Ich bin der Überzeugung, dass 50 Shades für viele Menschen die Tür geöffnet hat und dabei geholfen hat, das Interesse und die Akzeptanz gegenüber Erotikprodukten zu stärken. Aber Mainstream ist auch irgendwie zu einer undefinierten Gefahr geworden. Ich persönlich sehe im Mainstream im übrigen überhaupt keine Gefahr. Was für mich wichtig ist, ist das Erschaffen großartiger Produkte, die den Erwartungen meiner Kunden entsprechen und die überall dort zu finden, wo die Konsumenten sie kaufen möchten.

Es wird immer schwieriger zu definieren und zu erklären, was wir genau verkaufen.“

Es haben nur sehr sehr wenige Erotikprodukte in den Mainstream geschafft. Ist das Ende der Fahnenstange schon erreicht? Bleiben Intimität, Sexualität und dazugehörige Produkte etwas für den Nischenmarkt?
Sex ist Mainstream; es ist ein menschliches Bedürfnis und das wird sich niemals ändern. Das Hauptproblem ist, dass wir als Industrie weder die Nachfrage noch die Anforderungen der Mainstream-Kanäle bedienen bzw. erfüllen. Große Teile der Industrie sind auf kurzfristigen Umsatz aus und die Produktverantwortung ist sehr gering ausgeprägt. So werden wir nicht akzeptiert werden. Ich fürchte, es wird keine Veränderung diesbezüglich geben solange die Industrie sich nicht selbst zu einem Wandel entschließt und die Verantwortung für das übernimmt, was wir produzieren, oder realisiert, dass die Konsumenten heutzutage mehr Informationen brauchen. Der Wandel kann natürlich auch durch neue Regeln und Gesetze, die kontrollieren, was wir herstellen und verkaufen, in Gang gesetzt werden.

An die eben gestellte Frage schließt sich Nachfrage nach den Vertriebskanälen an. Hast du in diesem Bereich in den letzten zehn Monaten große Veränderungen gesehen oder bleibt es dabei, dass Erotikprodukte über Fachhandelsgeschäfte und spezialisierten Onlineshops verkauft werden?
Ich meine, dass sich da nichts verändert hat und die Vertriebskanäle immer noch die gleichen sind.

Der Erotikmarkt redet über Marken. Wie sieht aber die Realität aus? In wie weit beeinflussen die Marken – wenn es sie denn gibt – den Konsumenten?
Diese Industrie tendiert dazu zu glauben, dass eine Marke aufgebaut wird, indem ein Produkt in eine nette Verpackung gesteckt wird und es dazu ein paar nette Bildchen gibt. Aber Marken müssen leben, sie müssen atmen… such muss das Unternehmen nach draußen in den Markt kommuniziert werden – das kann eine schöne Verpackung umfassen, was aber nicht zwingend notwendig ist. Die Öffentlichkeit hat kein oder nur sehr wenig Markenbewusstsein, wenn es um den Bereich Erotik geht.

Der Handel geht mit Marken äußerst unterschiedlich um, einige Händler setzen auf sie, andere nehmen sie aus dem Programm, weil der Konsument in der Lage ist, im Internet Preise zu vergleichen. Stattdessen rüsten sich diese Händler mit Eigenmarken aus. Wie siehst du diese Entwicklung?
Der Einzelhandel sollte Produkte anbieten, nach denen die Kunden fragen. Einige sind vielleicht eher auf Marken orientiert, andere gucken eher auf das Preisleistungsverhältnis. Es ist wichtig, auf die Kunden und ihre Wünsche und Bedürfnisse zu hören. Nur so können Geschäftsbeziehungen aufgebaut werden, die lange anhalten und die zu glücklichen Kunden führen, die dann immer wieder zum Einkaufen kommen werden.

„Das Hauptproblem ist, dass wir als Industrie weder die Nachfrage noch die Anforderungen der Mainstream-Kanäle bedienen bzw. erfüllen.“

Dazu passt, dass wir in den letzten Jahren sehen, wie die traditionelle Lieferkette immer weiter auseinandergerissen wird. Wie wird sich diese Entwicklung langfristig auf den Markt auswirken?
Die traditionelle Lieferkette wird sich den Marktanforderungen anpassen.

Lass uns zu deinen Lieblingsthemen kommen: der Produktentwicklung und dem Produktdesign. Was hat sich hier dieses Jahr getan bzw. verändert? Überstrahlen moderne Technologien, die den Produkten zugefügt werden, diesen Bereich heute völlig?
Es gibt diesen Trend zu traditionellen naturgetreuen Dildos der alten Schule. Das ist eine Art Revival und ich finde das sehr interessant vor dem Hintergrund, dass der Fokus heute eigentlich auf diesen ganzen neuen Technologien liegt. Sucht der Konsument vielleicht nach etwas ganz anderem als wir alle denken?

Technischer Fortschritt wird meist von allen begrüßt. Auch von dir oder kannst du Kritik an den vielen App gesteuerten Vibratoren und long-distance-relationship Produkten üben?
Ich finde es wichtig, dass man als Hersteller eine klare Idee darüber hat, für wen man etwas entwickelt und wie die Bedürfnisse dieser Zielgruppe genau aussieht. Es ist so einfach, ein Produkt zu entwickeln und moderne Technologien darin einfliessen zu lassen, nur weil es technisch möglich ist, aber wir müssen uns fragen, auf welches Problem oder auf welch spezielle Nachfrage damit abgezielt werden soll.

Ist diese Entwicklung ein Symptom des Trends zu Pärchenprodukten oder ist dieser bereits abgelöst worden?
Neue Technologien erlauben es uns in der Tat, Produkte aus der Ferne zu steuern, aber das heißt nicht unbedingt, dass diese sich für Pärchen eignen! Ich meine, dass das Wort ‚pärchenfreundlich‘ sich abgenutzt hat, weil es quasi für jedes neue Produkt verwendet wurde bzw. es jemand bereits erfolgreich für seine Produkte verwendet hat. Mit dem Begriff ‚pleasure objects‘ ist vor einigen Jahren genau das gleiche geschehen. Ich habe das Gefühl, dass wir in unserer Industrie zu sehr auf das gucken, was unsere Mitbewerber machen, statt uns auf den Konsumenten zu konzentrieren.

Was Consumables angeht, so können wir feststellen, dass Trends wie Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit etc. eine immer wichtigere Rolle spielen. Wann wird sich dieser Trend bei Vibratoren durchsetzen?
So bald wir Verantwortung für das übernehmen, was wir verkaufen oder so bald der Konsument damit beginnt, Druck auf uns auszuüben, oder uns die Behörden in eine neue Richtung zwingen.

„Design kann heute jeder“ – stimmst du dieser Aussage zu?
Das hängt davon ab, was es bedeutet, ein Designer zu sein. Neue Technologien können die Eintrittsstufe niedriger machen und uns leichteren Zugang zu Design-Instrumenten geben, was ich begrüße, denn es kann Menschen inspirieren oder stimulieren, kreativ zu werden. Aber die Tätigkeit des Designers ist mehr, als nur schöne Produkte zu entwerfen. Es braucht ein Verständnis für die Produktentwicklung in Bezug auf die Nachfrage seitens der Konsumenten, es braucht ein Verständnis für die effektive Herstellung des Produkts und es braucht ein Verständnis für die richtige Preisgestaltung.

Wenn du auf das Jahr 2015 zurück blickst, was waren für dich wirkliche Innovationen? Der Womanizer zum Beispiel?
Der womanizer ist in der Tat ein Produkt, das aus der Masse hervorsticht und das dem Markt dieses Jahr etwas Neues und Bahnbrechendes gegeben hat.

Gimmicks, Gadgets, Lifestyle Produkte, Fashion Accessoires, Produkte zur Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens… als was werden Love Toys heute vermarktet?
Ein bisschen von jedem… zumindest erscheint es mir so. Es wird immer schwieriger zu definieren und zu erklären, was wir genau verkaufen.