Mit Samir Saraiya einmal rund um die Welt

Samir Saraiya kommt in seiner Position als CEO des indischen Unternehmens Digital E-Life viel herum, besucht internationale Fachmessen und nimmt die unterschiedlichen Erotikmärkte der Welt unter die Lupe. Über seine Beobachtungen berichtet er gegenüber eLINE. In diesem äußerst interessanten Interview geht es um Trends, eine Ist-Analyse, Potentiale und Gefahren sowie die Zukunft des internationalen Erotikmarkts.
 


Samir, du fliegst um die ganze Welt und besuchst Fachmessen für Erotikprodukte. Welche globalen Trends und Entwicklungen hast du in den letzten Monaten wahrnehmen können?
Samir Saraiya: Ich sehe viele Trends, die sich entwickeln und einer davon ist der, dass Innovationskraft und Differenzierung sehr limitiert sind. Das Fehlen großer Investitionen in dieser Industrie gepaart mit der schnellen Reproduktion von Produkten haben zu einer Situation geführt, in der innovative Marken kaum Zeit von den Vorteilen ihrer Innovationen zu profitieren. Zusätzlich versuchen traditionelle chinesische OEM und ODM Hersteller ihre eigenen Marken aufzubauen, während auf der anderen Seite führende Distributoren Eigenmarken mit der Hilfe von Private Label Herstellern erschaffen, was zu einer verschärften Wettbewerbssituation führt.
Auf der positiven Habenseite ist zu vermerken, dass ich denke, dass der E-Commerce zu einem erheblichen Wachstum des Marktes geführt hat, denn der E-Commerce bietet sich für Erotikprodukte geradezu an. Zudem bewegt sich die Industrie langsam weg von der ‚Erotik‘ der Vergangenheit und positioniert sich mehr im Sexual Wellness und Sexual Health Segment. Sie bewegt sich auch zu einer herkömmlichen Industrie für Konsumgüter mit mehreren Vertriebskanälen und Einzelhandelskanälen wie Supermärkte, Apotheken, Drogerien und anderer Verbrauchermärkte, die Love Toys etc. bevorraten und verkaufen.
Konsumenten sind informierter denn je, denn der Konsum von Infos zu Produkten durch unterschiedlichen Foren, in denen über Produkte gesprochen wird, Produkttestportalen, Videos etc. ist immens angestiegen, was zu einem größeren Bewusstsein gegenüber Sex Toys und der Verwendung dieser geführt hat. Die Konsumenten haben sich weiterentwickelt und wissen heute mehr über die Sex Toy Industrie als in der Vergangenheit, was ein Zeichen dafür ist, dass unsere Industrie reift.
Ist die ‚westliche Welt‘, sprich die USA, Europa plus andere, immer noch die Avantgarde wenn es um den Erotikmarkt geht?
Ich bin der Überzeugung, dass die Avantgarde oder die Renaissance der Love Toys noch erst kommt. Auch wenn die USA und einige europäische Länder Pioniere sind was Innovationen und Fortschritt in unserer Industrie angeht, so wird der signifikante Aufkommen von neuzeitlichen Produkten erst noch kommen.
Abgesehen von Produkten wie We-Vibe, Hot Octopuss (PULSE), OhMiBod, Womanizer etc. gibt es kaum bahnbrechende innovative Produkte. Allerdings bieten das Internet und die Mobile Revolution ein großes Potential, um Technologien in Produkte unterzubringen und ich denke, dass das alsbald geschehen wird. Es gibt ein Bedürfnis für große Investitionen in Forschung und Entwicklung. Unglücklicherweise ist unsere Industrie nicht ganz so glamourös wie andere, so dass Investoren oder Start-Up Unternehmen nur äußerst limitiert an ihr teilnehmen, was sich, so denke ich, in Zukunft ändern wird.

Mainstream Shops aus Dubai, Hong Kong und den USA
Mainstream Shops aus Dubai, Hong Kong und den USA

Wandelt sich China von der Werkbank der Welt zu einem der führenden Entwickler von Love Toys?
In vielen Industrien ist es so, dass die Produktion nach China verlegt wird. In unserer Industrie gibt es rein chinesische Produktentwickler und Hersteller wie auch Hybridkonzepte, also westliche Unternehmen, bei denen Entwicklung und Design im Westen und die Produktion in China stattfindet. Zudem gibt es Firmen wie Wingpow zum Beispiel, die Büros im Westen haben und Private Label Produkte in China für ihre westlichen Kunden herstellen. Die Chinesen haben eine erstaunliche Fähigkeit, erfolgreiche Produkt zu replizieren und daher werden die Grenzen neuer Produktentwicklungen immer undeutlicher.
Kulturell gesehen ist der asiatische Markt, im Gegensatz zum Westen, im Großen und Ganzen ein Markt, der sich rein um das Thema Mobil dreht. In vielen westlichen Ländern besitzen die Konsumenten unterschiedliche Geräte für unterschiedliche Zwecke – wie einen Computer, ein Tablet, einen iPod, eine Kamera usw. während die Menschen in Asien nur ihr Smartphone für die verschiedenen Zwecke nutzen. Daher denke ich, dass China die Verbindung aus Vernetzung von Smartphones mit Love Toys anführen wird und ein gutes Beispiel dafür ist die Firma Magic Motions, die behauptet, den weltersten ‚wearable smart vibrator‘ und den ersten ’smart mini vibrator‘ erfunden zu haben, der per App gesteuert wird und Bewegungssensoren besitzt.
Viele der chinesischen OEM und ODM Hersteller bewegen sich mit ihren Marken auf den globalen Markt zu. Das Unternehmen Odeco ist dafür ein Beispiel. In der nahen Zukunft könnte China als Akquisiteur von globalen Marken auf der ganzen Welt auftreten. Topco Sales ist jetzt schon im Wesentlichen im Besitz von Chinesen.
Wenn es weltumfassende Trends und Entwicklungen gibt, gibt es dann auch globale Marken? Fifty Shades zum Beispiel?
Ja, es gibt einige, aber nicht wirklich viele. Fifty Shades of Grey, LELO, Penthouse und We-Vibe gehören zu den wenigen Marken in dieser Industrie, die weltweit bekannt sind. Der Grund ist der, dass nur wenige Marken viel in den Markenaufbau investieren, was verständlich ist, weil es der Industrie an Kapital mangelt. LELO ist ein Trendsetter in Bezug auf die Wahrnehmung von Sex Toys, das sie durch fabelhaftes Design positiv verändert haben, was zu einem unglaublich Markenwert und einer großen Markenbekanntheit geführt hat. Dann gibt es andere, eher ältere und traditionellere Marken, wie Hustler und Penthouse, die sehr populär sind, weil sie seit Jahren zu dieser Industrie gehören. Lovehoney hat ziemlich viel Glück mit ihren Lizenz-Initiativen, man sehe sich nur Fifty Shades of Grey und jetzt die Motörhead Linie an.
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Im Vergleich zu anderen Märkten geniessen Marken im Erotikmarkt noch eine relativ geringe Aufmerksamkeit. Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür und bist du überzeugt, dass sich das in Zukunft ändern wird?
Es gibt ein grundlegendes Tabu unserer Industrie gegenüber, das dazu führt, dass Markenbildung äußerst limitiert ist. Es gibt viel Gegenwind von Verlegern und den Medien, unsere Marken zu promoten. Auch Google und Facebook sind sehr restriktiv, wenn es um Werbung von Love Tos etc. geht. Im Gegensatz zur Alkohol- oder Tabakindustrie fehlt es den Marken auch an Geld, um reine Markenbildung zu betreiben. Außerdem müssen Marken und Distributoren dafür sorgen, dass das alte Image der Industrie und ihrer Produkt verschwindet. Stattdessen muss sich die Industrie in Richtung Sexual Wellness, Sexual Health und Hygiene bewegen. Dieser Imagewechsel erfordert Kreativität. Es geht um Humor, Witz sowie Spannung dieser speziellen Produktkategorie, aber auch um die Interessen und Anforderungen der Konsumenten. Ich denke nicht, dass dies bis jetzt optimal umgesetzt worden ist und es gibt daher noch viel Platz für Verbesserungen. Auch müssen Marken mehr Phantasien und Sehnsüchte verkaufen als das bloße Produkt.
Du selbst bist ja in Indien in einem boomenden Markt tätig. In welchen Ländern steckt deinen Beobachtungen nach zufolge noch viel Potential für die Vermarktung von Love Toys?
Indien besitzt viel Potential, aber hinkt immer noch in Bezug auf die Größe des Markts hinterher. Ich meine, dass es ein riesiges und bisher nahezu unerschlossenes Potential im Mittleren Osten und Afrika gibt. Ich bin persönlich mehrfach angesprochen worden, um mich dort in Partnerschaften und Joint Ventures zu engagieren.
Distributoren sollten sich die Länder im Mittleren Osten und Afrika genau ansehen, wenn es um Wachstumschancen und langfristige Strategien für die Gewinnung von Neugeschäften geht. Natürlich wird sich das Produktportfolio in unterschiedlichen Kundensegmenten in den verschiedenen Ländern verändern, auch aufgrund sozialer und politischer Faktoren. Das schlummernde Potential dort ist teilweise schon erwacht, denn Graumärkte existieren bereits.
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Wie sehen die größten Risiken für den internationalen Markt für Love Toys aus?
Wie ich schon sagte, viele Produkte und Marken werden immer mehr zu Massenware im negativen Sinn – es tauchen immer mehr Marken auf, die sich kaum voneinander unterscheiden. Die Industrie könnte mit Produkten überbevölkert werden, was für einige Aktive zu Problemen in Bezug auf Margen und Kosten führen könnte. Nichtsdestotrotz hat die Industrie das Potential stark zu wachsen, in dem sie in die Aufklärung des Konsumenten über die unterschiedlichen Love Toys und deren Vorzüge investiert. Es sollte medizinische Beratungsstellen geben, die die unterschiedlichen Zielgruppen aufklärt. Was den Vertrieb angeht, so müssten Produkte besser und stärker in herkömmlichen Einzelhandelsgeschäften erhältlich sein.
Es wird heiß diskutiert, ob der Markt für Love Toys krisensicher ist oder nicht? Konntest du beobachten, dass Krisen, wie wir sie zum Beispiel vor wenigen Jahren in Europa erlebt haben, an ihm abprallen?
Der Erotikmarkt wird immer existieren und wird durch globale Krisen weniger in Mitleidenschaft gezogen als andere Industrien. In harten Zeiten mag sich das Luxussegment Herausforderungen zu stellen haben. Doch die meisten anderen Segmente haben sich stark in Richtung Konsumgüter, wie zum Beispiel Gebrauchsgüter und Hygieneprodukte, bewegt. In den meisten Bevölkerungen sind diese Produkt in unser alltägliches Leben fest integriert, so dass ein wirtschaftlicher Abschwung sich kaum auf Produkte der unteren und mittleren Preisspanne auswirkt. Was Trends und Moden angeht, so kommen und gehen sie, ganz wie BDSM zum Beispiel.
In Westeuropa wird viel über eine steigende Akzeptanz gegenüber Love Toys berichtet. Kannst du diese auch auf anderen Kontinenten festmachen?
Ja, Westeuropa war der Pionier in dieser Industrie vom dem Tag an, als Beate Uhse, ihren ersten Sexshop eröffnete. Und das hat sich bis heute nicht verändert, aber auch in anderen Bevölkerungen – USA, Kanada und Australien – ist die Akzeptanz gewachsen, auch was den staatlichen Umgang mit diesen Produkten betrifft. Der asiatische Markt, sprich China, Japan und Südkorea, wird nachfolgen. Dieser Trend pflanzt sich in die Länder und Bevölkerungen fort, die traditionell länger brauchen, um unsere Industrie willkommen zu heißen.
Wird der Erotikmarkt ein Nischenmarkt bleiben oder wird er sich andere Märkte ausdehnen bzw. von diesen geschluckt werden?
Ich denke, dass Unternehmen der Konsumgüterindustrie irgendwann erkennen, welch gigantische Möglichkeiten und welch großes Potential sich in der Produktkategorie verbergen und damit beginnen, Marken und Unternehmen zu akquirieren, wenn die soziale Akzeptanz einen bestimmten Grad erreicht hat. Church & Dwight (Trojan) ist bereits in unserer Industrie aktiv, Reckitt Benckiser (Durex) expandiert in unterschiedliche Produktkategorien. Ich meine, dass Unternehmen wie Victoria’s Secret zu den Produktkategorien Lingerie und Kosmetik unserer Industrie perfekt passen und dass es eine Frage der Zeit ist, bis sie loslegen. Große Firmen, egal ob aus der Kosmetik oder pharmazeutische wie Unilever, P&G oder J&J, mit ihren finanziellen Möglichkeiten könnten sich auf die Unternehmen unserer Industrie konzentrieren, die wirklich innovative und hochklassige Produkte entwickeln. Die Alternative ist, dass wenn unsere Industrie die Aufmerksamkeit von Investoren bekommt und die finanziellen Möglichkeiten wachsen, Unternehmen wachsen werden, weil Finanzierungen gesichert sind und sie auf finanziell stabilen Beinen stehen können.